Tagebuch-Text zum Beitrag Dan Perjovschis zur documenta fifteen am 6. Juli 2022

Kurzfassung
 

Ich gewahre, was es da in mir so alles herumdenkt: Dan P., Dante, da Vinci. Auch ständig überall Skizzen, Notizen. Vieles ist noch nicht zumutbar, vieles ist noch nicht realisierbar …

Ich nehme wahr, was meine Augen sehen: schwarze Säulen, sie passen perfekt zum klassischweißen klassizistischen Kulturtempel. Auf dem matten Dunkel in unabgetönt leuchtendem Weiß Sentenzen in Wort und Bild, Botschaften visualisiert als Schriftzug und Symbol. Chiffren. „Piktogramme“.

Menschenanliegen, Menschenängste, Gemeinschaftliches. Sozialsäulen. „Kolumnen“. Mich affiziert der Kontext dieses Kunstwerks: „Horizontal Newspaper“ schwarz auf weiß, die vertikal gemalte Zeitung weiß auf schwarz. Das also, merke ich, arbeitet in mir, das berührt mich …

Auf schwarzem Grund, vor schwarzer Denkfolie, empfinden wir weiße Inhalte, häufig problematische. Kollektive Identifikationen. Von viel Leid. Und auch von Erlösung davon.

Was ist der Mensch? Als Sozialwesen? Im Affirmativen wie in der Verneinung, im Bejahten wie in seinem Schatten? In seinem Selbst und seinem Anti-Selbst? Da

werde ich in meinem unkontrollierten Gedankenstrom unterbrochen, wende mich dem Strom der Bilder zu, die da außen fließen: ein junges Paar, sie, weiß, schwarz tätowiert. „Das Böse gibt es nur, damit es das Gute auch geben kann“, steht an ihrem Hals und ein bisschen auch unterhalb, der Ausschnitt des T-Shirts ist verrutscht, ich kann den Spruch in Gänze lesen.

Ich gewahre, in mir denkt es an die alte Ethik nach Erich Neumann, will ich Paradies, will ich automatisch auch das Anti-Paradies, wenn auch unbewusst; an die neue Ethik gemäß der Bibel, nur, die das Böse kennen, können ins Himmelreich kommen, alle anderen bleiben zwangsläufig Paradieswesen oder die für immer daraus Verstoßenen.

Perjovschis Figürchen – ein Anblick wie Kinderzeichnungen, wenn man nicht differenziert.

Ein bestimmtes Gefühl in mir empfindet sich angesprochen von dem „HOPE“, Menschen heben das O, nicht etwa das P oder E, einen Kreis ohne Anfang und ohne Ende. Der Mensch hievt sich hoch mit gegebener Kraft. Ihm innewohnender Gedeihkraft

Mein Blick öffnet sich vom Detail, zu einem Größeren, ohne künstliches Schwarz wäre es weiß auf weiß, aber auch so tragen die soliden Säulen ein vereinendes Tympanon, das seinerseits in eine Höhe ganz anderer Art verweist, unsere transzendente Ader …

Wäre das Ganze ein Text und nicht Bildende Kunst an Architektur, würde ich sagen, der Erzähler zeigt auf, wie es gehen kann, die Lösung zu finden, die Lösung zu sein, sich inne sein, jetzt schon die Lösung zu sein, die nur noch konkret werden muss, schon
ist, nur noch nicht geboren. Aber mit der Eigenmacht der Werdung ausgestattet.

Ich registriere, mein innerer Film beschleunigt sich plötzlich, alles purzelt durcheinander, Kinderkram, olle Ängste, olle Hoffnungen auf Paradies, Einsseinkönnen im Inneren mit Angst und Macht, Bedrohtsein und Eigenwirksamkeit, Kind und Erwachsener – und ich nehme wahr, mein innerer See ist unbewegt bei diesem Sturm, es gibt Frieden und einen höheren Frieden, Illusionäres und Reales, ich fühle mich schlagartig als Fridericianum, die Bühne selbst, die behelligbare und die ewig unzerstörbare Ruhe fallen gerade in eins.

 

Langfassung
 

Ich gewahre, was es da in mir so alles herumdenkt: Dan P., Dante, da Vinci. Auch ständig überall Skizzen, Notizen. Vieles ist noch nicht zumutbar, vieles ist noch nicht realisierbar …

Ich nehme wahr, was meine Augen sehen: schwarze Säulen, sie passen perfekt zum klassischweißen klassizistischen Kulturtempel. Auf dem matten Dunkel in unabgetönt leuchtendem Weiß Sentenzen in Wort und Bild, Botschaften visualisiert als Schriftzug und Symbol. Chiffren. „Piktogramme“.

Menschenanliegen, Menschenängste, Gemeinschaftliches. Sozialsäulen. „Kolumnen“. Mich berührt der Kontext dieses Kunstwerks: „Horizontal Newspaper“ schwarz auf weiß, die vertikal gemalte Zeitung weiß auf schwarz. Das also, merke ich, arbeitet in mir, das berührt mich …

Auf schwarzem Grund, vor schwarzer Denkfolie, empfinden wir weiße Inhalte, oft problematische. Kollektive Identifikationen. Viel Leid. Und auch von Erlösung davon.

Was ist der Mensch? Als Sozialwesen? Im Affirmativen wie in der Verneinung, im Bejahten wie in seinem Schatten? In seinem Selbst und seinem Anti-Selbst? Da

werde ich in meinem unkontrollierten Gedankenstrom unterbrochen, wende mich dem Strom der Bilder zu, die da außen fließen: ein junges Paar, sie, weiß, schwarz tätowiert. „Das Böse gibt es nur, damit es das Gute auch geben kann“, steht an ihrem Hals und ein bisschen auch unterhalb, der Ausschnitt des T-Shirts ist verrutscht, ich kann den Spruch in Gänze lesen.

Ich gewahre, in mir denkt es an die alte Ethik nach Erich Neumann, will ich Paradies, will ich automatisch auch das Anti-Paradies, wenn auch unbewusst; an die neue Ethik gemäß der Bibel, nur, die das Böse kennen, können ins Himmelreich kommen, alle anderen bleiben zwangsläufig Paradieswesen oder die für immer daraus Verstoßenen.

Perjovschis Figürchen – ein Anblick wie Kinderzeichnungen, wenn man nicht differenziert.

Ein bestimmtes Gefühl in mir empfindet sich angesprochen von dem „HOPE“, Menschen heben das O, nicht etwa das P oder E, einen Kreis ohne Anfang und ohne Ende. Der Mensch hievt sich hoch mit gegebener Kraft. Ihm innewohnender Gedeihkraft

Mein Blick öffnet sich vom Detail, zu einem Größeren, ohne künstliches Schwarz wäre es weiß auf weiß, aber auch so tragen die soliden Säulen ein vereinendes Tympanon, das seinerseits in eine Höhe ganz anderer Art verweist.

Wäre das Ganze ein Text und nicht Bildende Kunst an Architektur, würde ich sagen, der Erzähler zeigt auf, wie es gehen kann, die Lösung zu finden, die Lösung zu sein, sich inne sein, jetzt schon die Lösung zu sein, die nur noch konkret werden muss, schon
ist, nur noch nicht geboren. Aber mit der Eigenmacht der Werdung ausgestattet.

Ich registriere, mein innerer Film beschleunigt sich plötzlich, alles purzelt durcheinander, Kinderkram, olle Ängste, olle Hoffnungen auf Paradies, Einsseinkönnen im Inneren mit Angst und Macht und Bedrohtsein und Eigenwirksamkeit, Kind und Erwachsener –

und ich nehme wahr, mein innerer See ist unbewegt bei diesem Sturm, es gibt Frieden und einen höheren Frieden, Illusionäres und Reales, ich fühle mich schlagartig wie das Fridericianum, die Bühne selbst, der es egal ist, ob man sich drauf küsst oder abmurkst, in mir ist Stille, Ruhe, die behelligbare und die ewig unzerstörbare fallen gerade in eins.

Die Säulen des Fridericianums sind eigentlich weiß! Das Tympanon und schon die Kapitelle, wie der ganze Rest des Gebäudes, führen das deutlich vor Augen.

Der Künstler integriert sein Kunstwerk ins Fridericianum selbst. Die Leinwand ist nicht schwarz bzw. schwarz ist nicht die Leinwand. Die Leinwand ist weiß, das Weiße der Fridericianum-Säulen.

Nicht nur die Piktogramme sind Bewusstseins-Inhalte, Bewusstseins-Identifikationen, sondern der Dunkelgrund ist, wenn er unbewusst zu verbleiben mag, problematische, Hauptidentifikation des Bewusstseins. Dahinter aber ist es frei weiß, nicht wertend frei.

Es ist, was es ist, der Mensch ist was, er ist, die Welt ist, was sie ist.

Alles andere sagt nur etwas über mich aus. Nicht über die Welt, sondern wie ich sie sehe. Etwas über meine Sicht. Wie ich dazu neige, das zu sehen, was mein Auge da erblickt. Gucke ich so, dass es mich bedrückt oder erfreut? Befreit oder belastet? Oder neutral lässt, unberührt, ungetriggert?

Es ist meine Wahl, meine Entscheidung, meine Verantwortung, denn was ich davon halte, was mir da unterkommt, habe ich unweigerlich selbst an meinem eigenen Leibe zu durchleben, was ich dazu denke, erleide ich oder dessen kann ich mich eben erfreuen.

Wie viel leichter ist es, wenn ich mich von etwas sehr wohl stören lassen kann, es aber nicht muss …

Sich stören lassen ist etwas ganz anderes als gestört zu werden unwillkürlich.

Dies ist es, wofür mir das Kunstwerk im tieferen Sinne steht, sei dir bewusst, du hast die Wahl, du kannst dir dunkle Brille auf der Nase sein und das Glas als halb leer verrechnen oder du kannst dir ein frei achtsames Bewusstsein leisten, wo die Inhalte, ob gut, ob böse zwar da sind, aber du ihnen nicht automatisch unterworfen bist, du kannst wählen, wie dein Lebensgefühl entsprechend ausfällt.

Ich habe diese Vision, wie wir, wache, eigenbewusste Menschen, es nicht brauchen, gegen Störfelder anzukämpfen, weil sie uns nicht mehr gegen unseren Willen zu stören vermögen – und wir uns trotzdem dagegen engagieren … als freie Menschen

engagieren

und wir nicht auf die Laune eines vergänglichen Glücksumstandes angewiesen sind mit unserem Frohsein, sondern wissen, die Quelle eigenen Lebensglücks ist dahinter, wie verborgen, ich bin nicht die Umstände meines Glücks, ich bin das eigentliche und zwar selbst – und wir uns trotzdem, wie es Kinder vermögen, einfach des schönen Moments

freuen.

Ich kann und ich kann, statt ich muss und ich muss, das ist für mich die geheimnisvolle Metapher des Weiß auf Weiß oder eben auf geschwärzt. Ich kann achtsam und gesteuert sein oder mein Bewusstsein nicht einbeziehen und fremd- oder affektgesteuert bleiben. Im Guten wie im Bösen dieser Welt und des Menschen und all dessen, was wir niemals werden kontrollieren können. Ausgelieferte und Glückliche zugleich, die sich aus reiner Freude einbringen, der Freude, etwas zu geben zu haben … die generative Generation.