Grasflecken

Sie gewahrte, dass es sie beeinträchtigte, das mit den Grasflecken.

Sie hatte an eine leidlich grüne Wiese gedacht, mit runden Stellen drauf, wo das Gras gelblich-braun verbrannt war. Als ob ein Ufo, das hier Infos zu den Verletzbarkeiten der Menschen gesammelt hatte, wieder davongeflogen war und abgespaltene Energiestrahlen dabei allenthalben ovale Versehrungskreise hineingefressen hatten in die naive weite Flur.

Natürlich hätte sie auch an strotzend pralle Grasbüschel denken können, die überall munter hervorquollen aus frischer, schwarzer, satter Erde. Aber dem war nicht so.

Mit einem Schlag stand sie senkrecht. War sie die Wiese, die erhebliche Verluste hatte einstecken müssen, konnte sie genauso das Ufo sein, mächtig, endlich wieder.

Sprang zurück in die Wiese und betrauerte ihr geschecktes Kleid, nein, ihre gescheckte, versengte Haut. Ja, immer noch waren sie da in ihrem Leben, die längst Verflossenen, nicht einer, wo sie nicht hatte draufzahlen müssen, viel, Leid, Geld.

Sie hätte es wissen müssen. Sie wusste es ja.

M. zum Beispiel:

Es war gleich beim ersten Mal, als er sie mitgenommen hatte nach Bern. Selbst die allerletzte Zelle in ihr war entsetzt über das Schicksal der beiden Blumen in seiner Wohnung. In einer endlos langen qualvollen Zeit hatten sie sich ganz krumm hingebogen zu dem bisschen Licht vom Fenster um die Ecke, zwei verstümmelte Yuccas. Die Erde in den weißen Plastiktöpfen hatte sich weit hochgeschoben, es war ohnehin fast nur noch fest zusammengepresstes Wurzelwerk, dem er kaum Wasser gab, wenn auch außerordentlich regelmäßig, er hatte da seine Prinzipien, ‚mehr darf nicht sein’, sagte er, was auch stimmte, damit nicht noch die letzten Erdkrümchen weggespült wurden, wenn das Wasser als ganzer Strahl kam und nicht als mager rationierte einzelne Tropfen.

Oder F.:

Er hatte seine Pflanzen gleich auf dem Balkon stehen, zwei entsorgte, vertrocknete Astgerippe, die aus einem Meer herabgefallener hellbrauner Blattkräusel staken. ‚Wenn ich hier soviel rauche, tut es ihnen nicht gut in der Wohnung‘. Es hatte ihr alles zusammengezogen, aber sie konnte auch beim zweiten Mal nicht wechseln. Dass es für sie drinnen nämlich viel zu dunkel war, bei den ewig heruntergelassenen Jalousien, ‚ich hab hier keine Gardinen, weißt du?‘.

Zwei mal zwölf Jahre.

Was hatte sie von diesen Männern gewollt? Sie wohl nichts. Aber die Wiese in ihr, die Zerschundene, die schon vor diesen Männern Zerschundene, suchte immerzu Wärme, jeder Art. Alles war recht, um sich nicht anschauen zu müssen, selbst, so verheert.

Dagegen war alles eine Erleichterung. Und sie dankte den Jahrzehnten der Gewalt und Not, die sie davor bewahrt hatten, am eigenen Elend verstorben zu sein, viel zu früh.

Und sie ließ ihre Wunden frei schmerzen, ohne Vorschriften, ohne Verbot. Ohne Betäubung.

Die Wiese litt. Zu Recht. Es war richtig, dass die Verletzte in ihr tiefe Scherzen ertrug und Ohnmacht und dieses Ausgeweidetsein. Und es war richtig, dass sie diese Verletzte in ihr betrauerte, statt ablehnte weiterhin: gelten ließ, das erste Mal.

Und sie war sich plötzlich genauso gut wie durchgehend grün, dass ihre Flecken keine Male mehr waren, sondern nur ihre Geschichte, nur die Erinnerung an die Male und sie eigentlich intakt war, die ganze, ganze Zeit.

 

(Text aus dem Zyklus „Frauensplitter“, verfasst für das Format „Blaue Stunde“ im Rahmen der privaten Kulturförderung Düsseldorf in Zusammenarbeit mit der Künstlerkneipe „Destille“)